Artist in Residence / 1. – 30. November 2020
Immer glücklich, wunschlos günstig! - Eine Wunderkammer oder ein Idyll?
Wunderkammern, die Vorläufer der heutigen Museen, waren persönliche Sammlungen weltlicher Fürsten. Seit der der Renaissance waren viele an den Höfen Europas entstanden.
Sie vereinten wunderliche Naturalien, mitgebracht von seefahrenden Weltentdeckern, mit Artefakten von Künstlern und Kunsthandwerkern. Sie waren sozusagen ein Spiegel der damals bekannten und gerade entdeckten Welt, sowie einer ausgefeilten und exzellenten Handwerkskunst.
Diese Wunderkammern sind heute zumeist im musealen Kontext konserviert, beispielsweise auf Schloss Ambras bei Innsbruck oder im Kunsthistorischen Museum in Wien.
Waren damals noch Naturwissenschaft und Kunst verbunden, so haben sie sich seit der Aufklärung voneinander getrennt.
Bis auf einen vermeintlich letzten Rest sind alle Bereiche der Natur erforscht. Empirische Beweisführungen belegen den Wahrheitsgehalt der Naturgesetze.
Die Technologie macht sich viele dieser Erkenntnisse zunutze. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts hat sie sich rasant und exponentiell weiterentwickelt. Sie scheint uns in die Lage zu versetzen, tatsächlich außerhalb der Natur zu stehen und Probleme, die sie uns aufbürdet, damit zu lösen. Mit steigendem Wissen wird allerdings auch deutlich, wie komplex die natürlichen Zusammenhänge sind.
„Alles ist mit allem verbunden“, wie Alexander von Humboldt in seiner Schrift KOSMOS schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts feststellte und damit den modernen Naturbegriff prägte.
Mit den zeitgenössischen Kommunikationsmitteln sind wissenschaftliche Theorien und Erkenntnisse schneller über die ganze Welt zu verbreiten und ebenso schnell zu widerlegen. So viel Gewissheit über die tatsächliche Beschaffenheit der Welt entsteht, so entsteht gleichzeitig eine Unsicherheit darüber, ob dieser wissenschaftlich begründeten Gewissheit auch zu trauen sei. Die widersprüchliche Diskussion über den Wahrheitsgehalt, dass der Klimawandel mit dem Lebensstil der Menschen, vorwiegend in den Industrieländern zu tun hat, ist an dieser Stelle ein gutes Beispiel.
Das Weltgeschehen erscheint uns immer unheimlicher und unfassbarer. Denn das Vertrauen in eine sichere Zukunft wird ständig in Frage gestellt. Im Gegensatz zu früher scheint sie nicht mehr planbar zu sein. Doch in den technologisch hoch entwickelten Ländern herrscht ein Wohlstand, wie er noch nie in der Menschheitsgeschichte realisiert war. Dass dieser auf der Ausbeutung natürlicher Ressourcen beruht und weiter hemmungslos betrieben wird, ist hinreichend bekannt. Hinzu kommt, dass ein großer Teil der Menschheit niemals in der Lage sein wird, einen solchen Wohlstand zu erreichen. Die Vereinnahmung alles Lebendigen durch den Menschen schreitet ungehemmt fort und damit auch die Entfremdung von der Natur.
So sehr dies geschieht, sehnt sich der industrialisierte Mensch doch nach der ursprünglichen und reinen Verbindung mit der Natur, gleichsam einem paradiesischen Einssein mit der gesamten Schöpfung. Der Unmöglichkeit einer solchen bewusst, bleibt nur ein Ausweg, der tröstet: Das Erschaffen idyllischer Situationen, in denen lediglich ein Idealbild von Natur seinen Platz findet.
Die Idylle jedoch ist trügerisch, denn es gibt sie nicht. Sie ist eine Vorstellung eines Idealzustands, der in der Natur, zu verstehen als „Wildnis“, nicht existiert. Wildnis ist das Wesen der Natur. In ihr herrschen Gesetze, denen sich als zivilisatorisch geprägter Mensch einzuordnen, unmöglich ist. Die Idylle finden wir beispielsweise im Anblick einer erhaben daliegenden Bergkette, beschienen von morgendlicher Sonne oder in der Stille des Waldes. Was draußen idyllisch erschien, wird gesammelt, als Fotografie vom Sonnenuntergang, als herzförmiger Stein, als Schneckenhaus, als Hirschgeweih.
Dabei wird ausgeblendet, dass dort ein ständiger Existenzkampf herrscht. Wer nicht genug Sonnenlicht bekommt, geht an Nahrungsmangel zugrunde, wer nur einen Augenblick nicht achtsam ist, wird zur Beute anderer Lebewesen. In der Wildnis muss sich alles Lebendige in einen Kreislauf einordnen, der zu nichts anderem nötig ist, das Leben weiter fortentwickeln zu lassen.
Idyllen werden erschaffen, vorwiegend im privaten Raum, um wenigstens hier vor jeglichen Übergriffen anderer ein wenig geschützter zu sein.
Eine Möglichkeit, sich idyllische Situationen zu schaffen, ist der Konsum von Waren jeglicher Art, die das Leben einfacher, unabhängiger und genussreicher machen. So sehe ich die Werbeblätter mit ihren Bildern und Zahlen wie Sammelsurien von Dingen einer äußeren Welt, die Schein ist und in Wahrheit künstlich.
Die Dinge werden in Szene gesetzt und fein poliert.
Die Prospekte sind die Bühne für ein Schauspiel, dem Theatrum Mundi, in dem alle Mitspieler sein können. Eben eine zeitgenössische Analogie zu einer Wunderkammer.
Diese Bühne ist auf den Schaufensterflächen künstlerisch kommentiert. Die Präsentationen der Waren sind kombiniert mit Ausschnitten aus populärwissenschaftlichen Zeitschriften wie „Kosmos – das Bild unserer Welt“, „Natur“, „Natur und Umwelt“ und „National Geographic“. Viele sind schon Jahrzehnte alt. Wie die Bilder aus einem Lexikon der siebziger Jahre, dem „Lexikon 2000“ und diversen Anatomiebüchern. Man erkennt leicht, dass es sich hierbei um Fotografien früherer Epochen und Wissensstände handelt.
Andere sind der Modezeitschrift „Vogue“ entnommen, die Haute Couture zeigt, künstlerisch inszeniert und fotografiert. Und Ausschnitte von Kunstwerken aus antiquierten Kunstbüchern, meist in Schwarz-Weiß und schlecht gedruckt.
Die Collagetechnik ist unterschiedlich. Bilder sind so zugeschnitten, dass lediglich eine Struktur übrigbleibt. Andere sind als Ganzes in den Kontext der Kästchenanordnung der Prospekte eingefügt.
Und es gibt Ausschnitte, die wie Rahmen fungieren und Teile der Prospekte darunter fokussieren.
Im Jahr 2018 hatte ich zur Ausstellung „teatrum mundi“ in der Kunsthalle Wil, die großen Fensterflächen der Galerieräume im Erdgeschoß mit Discounterprospekten beklebt. In der Absicht, im Gegensatz zur Funktion, nämlich die Ausstellung im Inneren jederzeit von außen einsehbar zu halten, ins Gegenteil zu verkehren. Der Innenraum sollte den Blicken der vorbeilaufenden Passanten verwehrt sein und die Ausstellung in den Räumen der Kunsthalle sollte nur nach dem Betreten sichtbar sein. Dort war eine damals aktuelle Version des „teatrum mundi“ aufgebaut.
„Immer glücklich, wunschlos günstig!“ dagegen ist nur von außen zu sehen. Es ist ein flirrendes Bild der Welt. Es fällt schwer, Details zu erfassen - absurde, humoristische, beängstigende, reizende, ekelhafte und schöne... Nur indem sich der Betrachter nähert und sich darauf einlässt, seinen Blick auf die vielen Details zu konzentrieren, erfährt er die Komplexität der Arbeit. Zudem spiegeln sich der öffentliche Raum, die Schaufenster gegenüber und der Schattenriss des Betrachters, gleichsam eincollagiert, fast wie in eine vierte Dimension, in die gesamte Arbeit ein.
Eine Analogie zu einer Welt, die laut ist, die sich aufdrängt, die Verwirrung stiftet, alles mit allem kombiniert und verquirlt und nie still zu halten vermag. Konsum verheißt Glückseligkeit.
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